Kiezmenschen

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Auf 'ne Buddel ...

Tomas Benakovic, Kindheit in der Hans-Albers-Klause

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Tomas Benakovic (48) ist als Unternehmer, Filmproduzent und Gastronom in der ganzen Welt unterwegs. Dabei begann seine „Geschäftstüchtigkeit“ damals auf dem Schulhof. Mit „vom Laster gefallenen“ Jeans, die er an Mitschüler vertickte. Da war „Tomi“ gerade mal 14 Jahre alt. Seine Kindheit geprägt von Kneipe, Milieu und Jugendgang. Aber auch von Zusammenhalt und der Liebe seiner Oma und Mutter. Sein Weg führt ihn immer wieder zurück zu seinen Wurzeln. Dieses eine, tiefe Gefühl – das hat er nur auf St. Pauli. „Du kannst aus dem Ghetto, aber dein Ghetto nicht aus dir. Ich bin und bleibe Kiez“, sagt der Mann mit dem akkurat gestutzten Bart und den nach hinten frisierten Haaren. Er ist Inhaber der „Hans-Albers-Klause“ an der Friedrichstraße. Dem Ort seiner Kindheit.

Tomas berichtet von seinen ersten Erinnerungen an die Klause. Von seiner alleinerziehenden Mutter und Stammgästen, die sich liebevoll um ihn kümmerten. Er taucht ein in den Kiez seiner Kindheit. Kleine Geschäften rund um die Wohnung an der Talstraße, kreidebleiche Drogenabhängige auf dem Schulweg, Huren, Luden und Betrunkene. Er berichtet von dem großen Zusammenhalt auf dem Kiez und seiner „Ghetto-Romantik“. Von skurrilen Begegnungen auf dem Transenstrich und harten Kerlen, die er so sehr bewunderte. Von krummen Geschäften und seinem Absprung. Und vom heutigen Kiez – einem „Spielplatz für Idioten“. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen den Tausendsassa in der Hans-Albers-Klause.

Julia Radojkovic von der Bullysuppenküche

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Julia Radojkovic (59) braucht erst mal einen Kaffee. Gestern war wieder so ein Tag. 16 Stunden war sie unterwegs – bis 2 Uhr nachts. Keine Seltenheit. Besonders jetzt. „Sobald der Frost kommt, fahre ich nachts noch mal alleine rum und verteile Essen und Kleidung“, sagte die blonde Frau. Sie ist Gründerin der „Mobilen Bullysuppenküche“ und schuftet häufig 70 Stunden die Woche, um anderen zu helfen. Menschen, die ein Leben im Abseits führen. Die in Armut leben. Eine Erfahrung, die auch Julia schon machen musste. Und wahrscheinlich auch wieder machen wird.

Die engagierte Frau berichtet, wie vor neun Jahren alles anfing. Als sie krank war und ihren alten Job nicht mehr weitermachen konnte und wollte. Von ihrer ersten Essensverteilung an Obdachlose. Von dem ersten eigenen Standort des Vereins, der jetzt auf dem Kiez eröffnet. Von drogenabhängigen Jugendlichen, wohnungslosen Frauen und ihren beiden „Königskindern“. Von der aktuell schwierigen Lage auf den Straßen und dem Mangel an Lebensmitteln. Und von dem Weg in die Armut – auch ihrem eigenen. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die beeindruckende Vereinsgründerin in der Kleiderkammer der „Bully-Ecke“ am Hein-Köllisch-Platz.

Felizitas Denz - Direktorin vom East Hotel

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Felizitas Denz (32) wusste immer genau, was sie will. Schon mit 20 war ihr klar, dass sie Hoteldirektorin wird. Spätestens in zehn Jahren – so der Plan, den sie nur knapp verfehlte. Sechs Wochen nach ihrem 30. Geburtstag wurde die toughe Frau mit den blonden, langen Haaren und dem Körper voller Tätowierungen Direktorin des East-Hotels an der Simon-von-Utrecht-Straße. Eine junge, coole Chefin, die in Leder gehüllt mit ihren gerade mal 1,58 Metern auf einer 200-Kilo-Maschine zur Arbeit gerauscht kommt – extra tiefergelegt „wegen der zu kurzen Beine“, sagt sie lachend.

Die East-Direktorin berichtet von ihrem steilen Weg nach oben. Warum es anfangs manchmal schwer war Chefin zu sein und wie sie ihren Weg gefunden hat. Wie wütende Gäste reagieren, wenn sie den Chef sprechen wollen und sich dann der Blondine gegenübersehen. Sie berichtet von skurrilen Beschwerden, Partys auf den Zimmern, verzweifelten Ehefrauen auf der Suche nach ihren Männern und Nackten an der Rezeption. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die Hotel-Direktorin im East.

Marco Nürnberg vom Goldenen Handschuh

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Marco Nürnberg (34) hat den Handschuh im Blut. „Seinen Wurzeln kann man sich nicht entziehen“, sagt der schlanke Mann mit dem akkurat gestutzten Bart lächelnd. Dabei hat er genau das lange Zeit getan. Als Einziger der Familie schlug er einen komplett anderen Weg ein. Karriere statt Kneipe. Die Pandemie brachte das Umdenken und machte den Xing-Manager zu dem, der er irgendwie schon immer war, aber eigentlich nie sein wollte: Wirt des Goldenen Handschuhs am Hamburger Berg. Er berichtet von dem Moment des Umdenkens – seinem „Weckruf“. Von seinem sicheren, gut bezahlten Office-Job und dem Weg in eine unsichere Zukunft. Von Stammgästen, unverschämten Touristen und klaren Ansagen. Wie er die Kneipe als Kind empfunden hat. Und warum der Handschuh mit seiner alten Tradition gebrochen hat und nicht mehr 24 Stunden am Tag geöffnet ist.

Constantin "Tino" von Twickel - Künstlerischer Leiter von Nochtspeicher und Nochtwache

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Constantin „Tino“ von Twickel (48) liebt, was er tut. Der Mann mit Hut ist Künstlerischer Leiter des Nochtspeichers und der Nochtwache. Zwei Live-Clubs an der Bernhard-Nocht-Straße, die wie viele andere in einer schweren Krise stecken. Dass es die Clubs bald nicht mehr geben könnte – für Tino eine schmerzliche Vorstellung. Jahrelang haben er und seine Kollegen die beiden kleinen Livespielstätten zu dem gemacht, was sie heute sind. Ein „Brutkasten“ für Newcomer und ein Ort der Begegnung. Doch ob sie den Winter überleben, ist ungewiss.

Tino berichtet von der Perspektivlosigkeit, von kurzfristigen Konzert-Absagen, leeren Kassen und miesen Vorverkäufen. Von der „german Angst“, die für Verwunderung bei Künstlern sorgt. Von seiner Liebe zur Musik, für die seine Eltern den Grundstein legten. Und das Internat – „die Partyhölle“, in der er eigentlich mehr Struktur bekommen sollte. Von gestressten und joggenden Musikern und ausgefallenen Catering-Wünschen. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen den Mann mit Hut in der Nochtwache.

Heike Deak vom "Utspann"

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Heike Deak (63) ist Geschäftsführerin des „Utspann“ an der Talstraße. Nicht irgendeine anonyme Kneipe im Vergnügungsdschungel irgendeines Viertels. Ein Stück altes St. Pauli, das für manch Kiezianer mehr Zuhause ist als die einsamen vier Wände. Und dessen Angestellte für manchen die einzige Bezugsperson ist, die sie noch haben.

Die Frau mit den kurzen, grauen Haaren, der Brille und Tätowierung auf dem Unterarm berichtet wie das „Utspann“ durch einen Film Bekanntheit erlangte. Von ihrem Sparclub, dicken Auszahlungen und dem Vergnügungsgeld. Von der „Mutter des Utspann“, ihrer verstorbenen Chefin Peggy – die eigentlich ein Mann war und die sie noch immer schmerzlich vermisst. Von einsamen Seelen, um die sie sich kümmert und Papierkram, den sie hinterm Tresen für die Stammgäste erledigt. Und von dem Schicksal einer alten Dame, das sie noch lange begleitete. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die Kneipen-Kümmerin auf dem Kiez.

Mareike Walz von der Heilsarmee

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Mareike Walz (44) ist „Kapitänin“ der Heilsarmee an der Talstraße. Dabei war es genau das, was sie nie wollte. Eigentlich wollte sie Sängerin oder Schauspielerin werden. In die Fußstapfen ihrer Eltern treten, die beide bei der Heilsarmee tätig waren – auf keinen Fall.

Mareike berichtet von dieser einen Nacht, die den Umbruch brachte. Von ihrem Gelübde, das reichlich Verzicht mit sich bringt. Von Gebeten mitten auf der Reeperbahn. Von ihrem ersten Besuch im Bordell, der ganz anders lief als gedacht. Von dem Leid, das ihr begegnet und das sie nicht immer loslässt. Von Vorurteilen und Beschimpfungen. Und von Dankbarkeit und Glauben. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die Kapitänin der evangelischen Freikirche auf dem Kiez.

Julia Staron - die Quartiersmanagerin vom Kiez

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Julia Staron (52) ist seit Mitte der 80er Jahre auf St. Pauli unterwegs. Anfangs noch heimlich. Als 15-Jährige stahl sie sich aus dem Kellerfenster ihres Elternhauses in Blankenese, um auf dem Kiez zu feiern. Heute ist sie feste Größe im Viertel und schwer aktiv als Quartiersmanagerin, SPD-Politikerin und Künstlerin.

Die ehemalige Betreiberin des Kukuun berichtet, warum sie den Club, ihre „größte Leidenschaft“, nach 17 Jahre aufgab. Von ihrem ersten Erlebnis auf der Reeperbahn, das blutig endete. Und ihrem ersten Job für das „Florida Hotel“ am Spielbudenplatz, der so gar nicht nach Plan lief. Von Frauen mit Diadem und Schärpe, die sie wahnsinnig machen. Von Gästen, die völlig am Rad drehen, Gewalttaten und Türstehern, die nicht eingreifen. Und warum sie nicht gesehen werden möchte, wenn sie mit ihren Hunden spazieren geht. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die „Stadtteilkümmerin“ auf dem Kiez.

Ramona Koch - Filialleiterin Penny Reeperbahn

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Ramona Koch (41) kann sich einfach nicht dran gewöhnen. Wenn Leute im Discounter um sie herumschleichen, tuscheln und sich irgendwann endlich trauen, sie nach einem gemeinsamen Foto zu fragen. „Den Hype um meine Person kann ich nicht verstehen. Ich bin doch bloß die Leiterin eines Supermarktes.“ Nicht irgendein Supermarkt. Die Frau mit dem nahezu nahtlos tätowierten Körper, den Piercings und knallrot gefärbten Haaren ist Leiterin des Penny-Marktes an der Reeperbahn. Der wohl bekannteste Discounter Deutschlands.

Die „Chefin“, wie sie genannt wird, berichtet von Sex in der Getränkestraße, einem Typen in der Tiefkühltruhe, von Schulklassen, die mit Reisebussen vorfahren. Von „Dynamo-Mike“, der sie regelmäßig wahnsinnig macht und eine große Schwäche für sie hat. Von den Obdachlosen, die ihr besonders am Herzen liegen und von „Tänzchen“ mit Dieben, bei denen sie schon häufiger verletzt wurde. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen die Penny-Markt-Chefin auf dem Kiez.

Christian Fong, der Büroleiter des Dollhouse

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Feiern war noch nie sein Ding. Alkohol auch nicht. Christian mag Paartanz. Und hält sich lieber an Cola. Der zurückhaltende Mann, dessen Großvater während des Zweiten Weltkriegs ins Chinesen-Viertel auswanderte, ist zwar auf dem Kiez aufgewachsen, in einem Club war er jedoch nie. Dafür heute umso häufiger. Christian Fong (54) ist Büroleiter des Dollhouses und anderer Läden auf der Großen Freiheit. Er berichtet davon, wie er nach 24 Jahren als Bankangestellter auf einmal im Nachtclub landete. Von der „besonderen Kommunikation“ auf dem Kiez, an die er sich erst gewöhnen musste. Von seinem schlimmsten Gast – einem Hamburger „Partylöwen“. Von fummelnden Pärchen und Jogginghosenträgern. Von seinem Leben in einem chinesischen Dorf und seiner Ankunft als Fünfjähriger auf dem Kiez. Und von seinem Opa, von dessen Schicksal er nichts ahnte. Die MOPO-Reporter Wiebke Bromberg und Marius Röer trafen den leisen Nachtclub-Mitarbeiter im Dollhouse.

Über diesen Podcast

Von Rotlicht bis Blaulicht, von Glamour bis Gosse – jede Woche trifft die MOPO Menschen, die den Hamburger Kiez prägen. Sie nehmen uns mit in ihre Welt, plaudern offen über Persönliches und legendäre Geschichten. Diese Menschen sind es, die den weltweiten Ruf von St. Pauli ausmachen. Herzlich, persönlich, nah dran. Der Podcast erscheint begleitend zur Serie „Kiezmenschen“ in der Wochenendausgabe der Hamburger Morgenpost.

von und mit Hamburger Morgenpost

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