Kiezmenschen

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Auf 'ne Buddel ...

„Star-Club"-Groupie Carmen Doose (75)

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Morgens um zehn in der „Ritze“. Am Stammtisch hinten links sitzt eine kleine Frau mit langen blondierten Haaren unter einem stylischen Strick-Beanie. Rote Lederhose, schwarze Lederjacke, Stiefel in Leopardenoptik. „Geilo-scheilo Bootis, oder? Ich bin nicht so der Faltenrocktyp“, sagt Carmen schmunzelnd. Müde ist sie. Die Nacht war kurz. Mal wieder. Den Abend zuvor war die Frau bei einer Geburtstagsparty. Einen draufmachen – das kann sie noch immer gut mit ihren, wie sie selber sagt, „knackigen 75“. Seit mehr als 60 Jahren ist Carmen Doose auf dem Kiez unterwegs. Schon im zarten Alter von 14 Jahren ging sie im legendären „Star-Club“ auf „Männerjagd“ und verdrehte so manch bekanntem Musiker den Kopf.
Die flippige Frau berichtet von den „Leckerchen“ im „Star Club“. Wie sie auf „Männerjagd“ ging und es trotz ihres zarten Alters von 14 Jahren schaffte, nicht ein einziges Mal rauszufliegen. Mit großen Gesten und ständig in Bewegung spricht sie von den Stars, die sie in dem legendären Musikclub erlebte und vom Aus des Ladens.
Wie es danach für sie an der Seite ihres Verlobten weiterging – seinem Vater gehörte St. Paulis ältestes Bordell. Carmen berichtet, wie sie einmal eine Prostituierte zusammenschlug und was das für Folgen hatte. Sie erzählt von ihrem luxuriösen Leben an der Seite verschiedener Männer, dem Moment, als ihr Mann in den Knast wanderte, von einer Nacht mit „Depeche Mode“ und dem großen Bruch. Und sie spricht über ihr nach wie vor buntes Leben auf dem Kiez.

Ronny Petzet - von Chez Ronny

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Ronny liebt das „puffige“. Ein Hauch Rotlicht-Flair, ein bisschen Glitzer, schwere Möbel, goldene Rahmen, die ein oder andere Skulptur. Und dazu ein aufwendiges Lichtkonzept. „Alles, was man sieht, was mich umgibt, reflektiert mein Inneres“, sagt der Mann, der sich selber als Paradiesvogel bezeichnet.

Vor 36 Jahren über die Prager Botschaft in den Westen geflüchtet, machte er sich auf die Suche nach der Freiheit. An der Seite eines Millionärs. In einer Schwulenbar. Und als „singender Kellner“. Seine Freiheit fand er schließlich auf dem Kiez. Anfangs als Betreiber eines Männer-Puffs, betreibt Ronny Petzet (58) heute die Pension „Chez Ronny“ an der Reeperbahn und die Cocktailbar „Chez Ronnys Lounge“ an der Silbersackstraße.

Von der Volksarmee zum Betreiber eines Männer-Puffs

Der Paradiesvogel berichtet von seiner Arbeit bei der Nationalen Volksarmee, dem Moment, als er spontan entschied, in den Westen abzuhauen. Wie er die historische Balkonrede von Genscher und seine Einreise mit Bananen und Haribo im Westen erlebte. Er erzählt von seinem Job in einer Schwulenbar, dem Leben an der Seite eines alternden Millionärs und seinem Weg auf den Kiez als Inhaber eines Männer-Puffs. Und Ronny berichtet, was man so alles erlebt, als Betreiber einer Bar und einer Pension mitten an der Reeperbahn.

Domina Aurora Nia Noxx (nicht jugendfrei. Frei ab 18)

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Ach herrje. Wie konnte das nur passieren? Aurora Nia Noxx hat ihren BH vergessen. „Und die Nippelpads auch“, sagt die Frau mit den Katzenaugen verführerisch lächelnd und zieht die perfekt geschwungenen Augenbrauen empor. In ihrem transparenten Spitzen-Kleid mit knappem Jäckchen darüber nimmt sie auf einem Barhocker Platz.

Früher arbeitete die studierte Marketing-Managerin bei einer Krankenkasse, heute ist sie eine der bekanntesten Dominas Deutschlands. Beim Live-Podcast im „KultKieztürchen“ an der Friedrichstraße gab sie den Gästen tiefe Einblicke in eine Welt voller Demütigungen, Schmerzen und Lust – faszinierend und schockierend zugleich. An ihrer Seite: Einer ihrer Sklaven.

Domina berichtet von krassen Wünschen, Fetischen und Tabus
Aurora berichtet davon, wie sie von der Marketing-Managerin zur Domina wurde. Wie Familie und Freunde reagierten. Sie berichtet detailliert von den krassen Wünschen ihrer Sklaven. Von Fetischen, Tabus und „Behandlungen“, die sogar sie ekeln. Sie erzählt von Kunden, die sich in sie verliebten. Und dieses eine Mail, als auch sie Gefühle entwickelte. Und sie spricht über ihren Job auf St. Pauli – als „KultKieztouren“-Guide.

Die Redaktion empfiehlt: Dieser Podcast ist für Hörer unter 18 Jahren nicht geeignet!

Uli Zöller - Der Hausmeister im Regenbogenhaus

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Schwer atmend nimmt Uli die letzten Stufen und drückt der vor der Tür wartenden, ausgemergelten Frau die ausrangierte Stereoanlage in den Arm. Sie schenkt ihm ein zahnloses Strahlen. „Du bist echt der Beste.“ Uli winkt ab. „Kein Ding. Gerne doch“, sagt er. Nachdem Uli im Knast saß, lebte er viele Jahre lang auf der Straße. Der eigene Verfall. Die Blicke und Beschimpfungen der anderen. Uli weiß, wie es ist, ganz unten und auf die Gaben anderer angewiesen zu sein.
Heute hat er „den Sprung zurück ins Leben“ geschafft. Ulrich Zöller (59) ist Bewohner und Hausmeister des Regenbogenhauses an der Reeperbahn. Ein Ort, an dem die Hoffnungslosen wieder zu hoffen wagen. Der Mann mit der tätowierten Träne unter den strahlend blauen Augen berichtet von seiner Zeit im Knast. Von den Menschen, denen er Leid zugefügt hat.
Er berichtet von den Jahren als Obdachloser. Den Monaten, in denen er vier Promille brauchte, um klarzukommen. Den Beschimpfungen und Angriffen der Passanten. Der Kälte und seiner größten Angst auf der Straße. Und er berichtet von seinem „Sprung zurück ins Leben“. Von der Wärme im Regenbogenhaus. Seinen Mitbewohnern und dem Kumpel, den er im Arm hielt, als er seine letzte Reise antrat.

Marco Apfler - Tattoos bis unter die vier Augen

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Manche halten ihn für einen Satanisten. Für andere ist er ein Knacki. Vielleicht auch nur ein Kleinkrimineller. Mit Sicherheit aber einer, der nicht lange fackelt. Marco Apfler (48) kennt sie – die Vorurteile. Klar, auf Fremde wirkt er mitunter bedrohlich mit dem von Tattoos übersäten Körper, den rot gespritzten Augäpfeln und von Horror-Motiven gezeichneten Gesicht. Dass er so aussieht, war harte Arbeit. Für seine Tätowierer. „Ich bin eine Heulsuse. Schmerzen kann ich nicht ertragen“, sagt Marco lachend. Der Tätowierer und „Lehmitz“-Geschäftsführer gibt tiefe Einblicke in seine Welt.
Er berichtet von seiner Kindheit, vom „bösen“ Tod der Mutter. Warum er so viele Tattoos hat und sich besonders gut mit Schuhen auskennt. Er spricht über seinen Glauben, seine Lieblingsschnulze, die enge Beziehung zum „Schönen Klaus“. Und warum der Kiez alles verändert hat.

Sabine und Katrin Clorius von der "Kleinen Pause"

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Zwei Burger für Engelchen. Schatzi bekommt eine Pommes. Und Herzilein? Die nimmt heute mal eine vegane Bratwurst. Wie die Stammgäste wirklich heißen, wissen die Chefinnen nicht. Es spielt auch keine Rolle. Auch wo sie herkommen, wie sie aussehen, was sie beruflich machen, ist ohne Bedeutung. Bei Sabine (62) und Schwiegertochter Katrin Clorius (41) sind alle gleich. Die Frauen sind die „Tresenfront“ der „Kleinen Pause“ an der Wohlwillstraße. Mit Herz, klarer Kante und so manch deftigem Spruch schmeißen sie den seit 38 Jahren bestehenden Kult-Imbiss.
Sabine berichtet von der Liebe und diesem einen Abend im damals angesagten Aufreißschuppen „Posemuckel“, ohne den es die „Kleine Pause“ nie gegeben hätte. Sie berichtet von harten Zeiten, dem Wohnzimmer im Klo und den Tagen, die die Wende brachten. Die Chefinnen sprechen über Gemeinschaft, die seit der Pandemie spürbaren Veränderungen auf dem Kiez und Stress mit den Gästen. Und sie reden über die Zukunft, in der es einen Wechsel im Kult-Imbiss geben wird.

Zwick-Kultwirt Uli Salm (76)

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Mit getönter Sonnenbrille und Lederjacke, die Haare nach oben frisiert, sitzt er da. Einen halben Liter Apfelschorle im Bierglas vor sich. Alkohol ist tabu. Seit 25 Jahren hat er keinen Tropfen mehr getrunken. Der Mann, der mit Weltstars auf der Bühne stand, gemeinsam mit anderen Musikern den Grundstein für die „Hamburger Szene“ mit Otto Waalkes und Udo Lindenberg legte und in dessen Läden so viele internationale Stars feierten, dass es ihm unmöglich ist, sich an jeden Einzelnen zu erinnern.
Uli Salm, Vollblutmusiker und Kult-Wirt des „Zwick“ in Pöseldorf und auf dem Kiez, spricht offen über feuchtfröhliche Abende mit Promis wie Elton John, Herbert Grönemeyer und Hugh Grant, der ganz schön einstecken musste. Er erzählt von tiefen Abstürzen, hohen Höhenflügen und ganz viel Leidenschaft.

Tayfun Bayanbas vom Aladin Center Reeperbahn

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Die Wertschätzung, die Traditionen, das Pflegen der Kultur. Für die türkischstämmige Familie von Tayfun Bayanbas von großer Bedeutung. Eigentlich auch für den 32-Jährigen. Doch er wollte sein eigenes Ding machen. Vier Geschwister, sechs Tanten und Onkel mit jeweils drei bis vier Kindern, die wiederum auch schon Kinder hatten. Zu viele Menschen. Zu viele Meinungen. Tayfun suchte sein Glück in den USA. Gefunden hat er es schließlich dort, wo alles begann. Im „Aladin Center“ an der Reeperbahn – dem seit knapp 25 Jahren bestehenden Kiez-Kaufhaus.
Der Geschäftsführer erzählt von seiner Kindheit auf dem Kiez. Von Nachmittagen im Laden und dem Highlight seiner Woche. Von seiner Suche nach dem Glück, fernab der Familie und des Unternehmens in Texas und China. Warum er nie in das Geschäft mit einsteigen wollte und wie er doch genau dort landete.
Tayfun berichtet von Obdachlosen, Dieben und Junkies. Von nervigen Junggesellenabschieden und der einen Frage, die er nicht mehr hören kann. Er erzählt von Frauen auf High Heels, Touristen mit Badelatschen-Problemen, ganz besonderen Socken und den glücklichen Momenten in seinem Job.

Frauke Brauns - Wirtin der David Quelle

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Sie war die Wirtin der Hafenstraßen-Besetzer, erlebte die Zeiten der Seeleute und Luden. Der „Schöne Mischa“ und der „Schöne Klaus“ saßen bei ihr am Tresen. Mit ihren Damen, die nicht selten für Aufruhr sorgten. Und einmal auch die Wut der Wirtin zu spüren bekamen. Vor 50 Jahren landete Frauke Brauns auf dem Kiez. Eigentlich nur, um sich als Kellnerin etwas dazuzuverdienen. Doch St. Pauli ließ sie nicht mehr los. Heute ist sie 68 Jahre alt und noch immer Wirtin der „David Quelle“ – mit 118 Jahren eine der ältesten Kneipen St. Paulis.
Die Kult-Wirtin berichtet von Stammkunden, deren Haustürschlüssel sie hat und einem tragischen Notfall. Von Junggesellenabschieden, einem Mann in Dirndl mit tiefen Einblicken und ganz besonderem Latex-Outfit. Sie erzählt von den alten Zeiten, in denen Seemänner den Laden fast zerlegten, Huren sich bis „aufs Blut“ zofften und Zuhälter die Damen aus dem Laden zerrten. Vom „Schönen Mischa“ und „Schönen Klaus“. Von Stress mit Domenica und der Zeit, als sie Wirtin der Hafenstraßen-Hausbesetzer war. Und von ihrer großen Liebe – zu dem Viertel und ihrem legendären Laden.

Mareike Dere vom Kiosk Mittenmang

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Sie war so was wie der Dorfplatz des Kiezes. Abhängen an der „Esso“: Absoluter Kult. Nachdem die Tanke unweit des Spielbudenplatzes abgerissen wurde, suchten die Leute einen anderen Ort. Und fanden ihn. Nur sehr viel kleiner. Den Kiosk „Mittenmang“ an der Davidstraße, liebevoll die „kleine Esso“ vom Kiez genannt.
Für Chefin Mareike Dere (54) eine große Ehre, mit der sie nicht gerechnet hätte. Verließ sie den Laden anfangs doch keinen Abend, ohne zu weinen. Die flippige Frau mit dem wilden Lockenkopf berichtet vom Ärger um die Kioske auf dem Kiez und was sich ändern müsste. Von komasaufenden Kunden, solchen, die blankziehen und der einen Frau, die sie nicht vergessen wird.
Die Kiosk-Chefin erzählt vom Geschäft in der gegenüberliegenden Herbertstraße, der Teenie-Droge Lachgas, Engländern im Peniskostüm und dem historischen Schatz, der sich unter dem Kiosk verbirgt. Und sie verrät, warum sie anfangs jeden Tag weinen musste, ihr Glück nun aber gefunden hat.

Über diesen Podcast

Von Rotlicht bis Blaulicht, von Glamour bis Gosse – jede Woche trifft die MOPO Menschen, die den Hamburger Kiez prägen. Sie nehmen uns mit in ihre Welt, plaudern offen über Persönliches und legendäre Geschichten. Diese Menschen sind es, die den weltweiten Ruf von St. Pauli ausmachen. Herzlich, persönlich, nah dran. Der Podcast erscheint begleitend zur Serie „Kiezmenschen“ in der Wochenendausgabe der Hamburger Morgenpost.

von und mit Hamburger Morgenpost

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